Freitag, 16. April 2010

Nichts ist Ewigkeit

Mit den Begriffen „Nichts“ und „Ewigkeit“ stoßen wir philosophisch an die Grenzen des Verstehens, weil sie sich im dualistischen Alltag zwar ständig im Gebrauch finden, sich bei eingehender Betrachtung so oberflächlich aber nicht erklären oder ableiten lassen. Sie reichen quasi über die üblichen jeweiligen Gegensätzlichkeiten wie etwa hell – dunkel, kalt – warm, plus – minus etc. hinaus, berühren den Rand des Fassbaren.
Werden beide Termini, also „Nichts“ und „Ewigkeit“ in Relation gebracht, wie in der Überschrift geschehen, deutet sich gedanklicher Tiefgang an, sogar die Möglichkeit der Unlösbarkeit des Problems und damit auch gleichzeitig die lästige Tendenz zum Irrationalen, zu Transzendenz und Religion.

„Nichts“ gebrauchen wir gewöhnlich als eine Art Null-Mengenangabe von irgendetwas, es bezieht sich auf Lebewesen und Gegenstände im weitesten Sinne, aber ebenso auf Verhaltensweisen („man tut nichts“) und auf den Status von Wissen und Erkenntnissen. „Nichts von alldem“, sagt man, wobei „alldem“ etwas als bekannt Definiertes darstellt. Die häufig verwendete Floskel „es ist nichts“ bezieht sich sogar auf Unbekanntes, auf Eventuelles. In jedem Fall spiegelt sich das Fehlen einer Menge.

Komplizierter wird die Begrifflichkeit, sinniert man über das Nichts. Es schließt das Sein überhaupt aus. Alles, was das praktische und theoretisierende Leben ausmacht, ist nicht mehr, das heißt konkret: Das Nichts und das Sein wären Antipoden, doch das Nichts lässt als solches selbst das nicht zu, denn als Nichts kann es auch kein Gegenpol sein.
Es wird deutlich, dieses Gedankenkonstrukt ist untauglich, um als Jenseits zum faktischen Leben zu gelten. Selbst das buddhistische Nirwana muss deshalb eine negative und eine positive Seite entwerfen: negativ, das Erlöschen des unheilvollen Dranges zum Dasein und positiv, das nicht definierbare Erlöstsein nach dem Abfallen von der Körperlichkeit im Tode.
Das als Ziel zu propagieren, charakterisiert Religion und nicht Philosophie.

Ewigkeit meint strikte Zeitlosigkeit, ohne Beginn und ohne Ende. Auch eine derartige Erfahrung gibt es im praktischen Leben nicht, alles im Mikro- wie im Makrokosmos unterliegt Entwicklungen. Nicht minder zeichnet sich im scheinbar stabilen Gleichgewicht stets ein Ende ab. Der allererste Anstoß der Entwicklungsprozesse mag so weit zurück liegen, dass er sich menschlichem Verständnis wahrscheinlich für immer verschließt, und ebenso uneinsehbar bleibt die ferne Zukunft des Universums und damit auch die des Menschen.

Unter dem Leidensdruck der allgegenwärtigen eigenen individuellen Vergänglichkeit verbindet sich die allgemeine Zukunftsungewissheit drangvoll mit der persönlichen Sinnfrage, die jedoch keine objektive Antwort kennen kann – in einem Universum als Lebensraum, dessen Rahmenbedingungen, dessen Grenzen weder zeitlich noch räumlich zu definieren sind.

Der Wunsch liegt nahe, irgendwie in die Ewigkeit einzugehen, obgleich sie nur eine Teil-Ewigkeit wäre, indem die individuelle Zeugung und Geburt eindeutig den persönlichen Lebensbeginn markieren.
Ewigkeit wäre also die Antipode zu Zeit, doch beinhaltet Ewigkeit keine Zeitlichkeit, schon gar nicht als vergängliche Opposition.
Käme auch nur ein Mensch in die Ewigkeit, wäre sie mit dem zeitlichen Eintritt als Ewigkeit aufgehoben, vernichtet.
Wieder stellt sich das Gedankenkonstrukt als für das praktische Leben untaugliches Jenseits heraus oder ganz banal als Flucht aus dem faktischen Leben.

Kombinieren wir nun beide Begriffe „Nichts ist Ewigkeit“, so ergeben sich folgende Möglichkeiten:
1. Es gibt nichts, das ewig ist. Die Ewigkeit wird verworfen.
2. Das Nichts ist ewig, also zeitlos, damit vordergründig ein ideales Asyl aus der Lebensrealität. Gelangte aber auch nur ein Mensch ideell ins Nichts, wäre es kein Nichts mehr.
3. Im ewigen Nichts gibt es demzufolge auch keinen (ewigen) Gott. Die Gegensätze von Buddhismus und beispielsweise Christentum werden unüberbrückbar.
4. Ein ewiges Nichts wie eine nichtige Ewigkeit beschreiben so entsprechend unausgegorene Naivträume, die sich in Ermangelung von Logik und Kausalität und auch durch Bequemlichkeit zu Albträumen auftürmen, als Religion organisieren.

Es ist signifikant, wie ausgerechnet die Religionen, die auf Ausstiegsmechanismen von „Ewigkeit“ und „Nichts“ setzen, in ihrer Glaubensausübung umso mehr den ganz irdischen Dualismen verfallen: Gut und Böse, Licht und Schatten, jeweils nach eigener Auslegung und Interpretation, zur Entmündigung der Gläubigen, die man zum Glauben drängt, ja zwingt, denen man das Denken verbietet.

In diesem Sinne stirbt jeder Gotteskrieger für nichts.
Und ewig schon gar nicht lässt sich die Intelligenz unterdrücken, auch wenn es gefühlte Ewigkeiten (die eben keine sind) dauern wird, ehe der Interimsmensch epochale Ablösung erfährt. Auch er ist nicht „ewig“, und die Menschheit wird nicht ins Nichts fallen ohne Götter.

Erst eine Abkehr von den magisch-mystisch-religiösen Schein-Parallelwelten kann ein wirklich neues Kapitel der Kulturgeschichte einleiten: Die Konzentration auf ein würdiges „Hier und Jetzt“ in aufgeklarter, sogar leidenschaftlicher Hingabe an das Leben und nicht an den Tod.

Immens ist die Geduld, welche das 21. Jahrhundert den aufgeklärten Menschen abverlangt.

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